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21.06.2019 -

Kultur- und Kreativwirtschaft in… München: die geheime Buch-Metropole Deutschlands Interview mit Susanne Mitterer, stellvertretende Leiterin im Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft der Landeshauptstadt München

Einleitung

  • 21.06.2019

Darüber, was mit Kultur- und Kreativwirtschaft gemeint ist, besteht mittlerweile weitgehend Einigkeit. Dabei gibt es landauf, landab ganz unterschiedliche Standortbedingungen, die für eine jeweils besondere Ausprägung der Kreativszene sorgen.

Frau Mitterer, was ist das Besondere an der Kultur- und Kreativwirtschaft in München?

Susanne Mitterer: Man assoziiert München ja mit herausragender Hochkultur aber weniger mit bedeutender Kultur- und Kreativwirtschaft. Der Stadt ist aber in den letzten zehn Jahren allmählich bewusst geworden, was hier für ein unglaublicher Reichtum an Akteuren und Themen der Kultur- und Kreativwirtschaft herrscht und wie sie alle München prägen. Und das Besondere hier ist, was viele gar nicht wissen: München ist die Stadt mit den zweithäufigsten Buchverlagen weltweit, nach New York, mit vielen umsatz- und beschäftigungsstarken Verlagshäusern. Aufgrund der Buchmessen sind Frankfurt oder Leipzig hier sichtbarer. Aber tatsächlich ist München der führende Verlagsstandort in Deutschland.

Können Sie sich das erklären, warum das so ist?

Susanne Mitterer: In München war die Literaturszene schon Anfang des vorigen Jahrhunderts sehr stark ausgeprägt. Thomas Mann vollendete hier die Buddenbrocks. Heinrich Mann, Joachim Ringelnatz und Lion Feuchtwanger wirkten in der Stadt. Das sind die Wurzeln dieser Bedeutung. Und München ist ein Standort der kulturwirtschaftlich Dinge sehr stark entwickelt. Beide Faktoren zusammen sind die Basis für ein starkes Verlagswesen.

Und was macht München aus dieser besonderen Bücher-Stärke?

Susanne Mitterer: Wir kümmern uns hier, neben den großen Akteuren der Kultur- und Kreativwirtschaft, vor allem darum, auch den kleineren Möglichkeiten und Marktzugänge zu bieten. Das heißt, wir haben zum Beispiel aktuell eine Zwischennutzung, einen Laden im Münchner Rathaus, direkt am Marienplatz, den wir den Münchner Buchmachern zur Verfügung stellen. Dabei geht es um sehr kleine, sehr spezialisierte Verlage, die mit einer unglaublichen Liebe und Professionalität jeweils eine eigene Nische besetzen, z.B. mit München-Krimis oder mit Kinderbüchern oder historischer Literatur. Und die haben sich unter unserer Anregung zu einem losen Verbund unter dem Titel „Münchner Buchmacher“ zusammengeschlossen und betreiben jetzt dort einen eigenen Pop-up-Laden. Wir unterstützen auch Illustratorinnen und Illustratoren im Zusammenspiel mit Verlagen und Autoren. Regelmäßig organisieren wir in Kooperation mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und Bayern International eine Unternehmerreise auf die Kinderbuchmesse nach Bologna. Zusammen mit Kleinverlagen präsentieren wir dort Neuveröffentlichungen und das entsprechende Verlagsrepertoire auf einem Messestand. Hier werden Kooperationspartner und Auftraggeber gefunden.

Welche Branchen dominieren denn die Münchner Kultur- und Kreativwirtschaft?

Susanne Mitterer: Wenn Sie jetzt auf die Umsätze oder die Beschäftigten anspielen: Da liegt das Buch natürlich nicht vorn. Die Umsätze im gesamten Buchmarkt sind nicht vergleichbar sind mit den Umsätzen, die in einer Branche wie Games erwirtschaftet werden. Aber was die, sagen wir: Strahlkraft angeht, gibt es bei uns diesen Buch-Schwerpunkt. München lebt von der starken Vielfalt der Kreativbranche. Neben dem Buchmarkt sind die Software-/Games-Industrie, der Werbemarkt, der Filmmarkt und die Rundfunkwirtschaft ähnlich stark. Z.B. werden 50 Prozent der Umsätze in der deutschen Rundfunkwirtschaft im Großraum München gemacht. Das macht unseren Standort nicht nur zu einem herausragenden Kultur- und Kreativwirtschaftsstandort sondern auch in dem Branchenmix sehr krisenfest.

Gibt es Annäherungen zwischen der Kreativbranche und anderen Branchen?

Susanne Mitterer: Es findet dann Begegnung statt, wenn es um Inhalte und Themen geht. Wir haben heute beispielsweise eine Veranstaltung dazu, wie Design und Architektur die Arbeitswelten und die Arbeit in einem Unternehmen beeinflussen können. Und wir arbeiten gerade an einem Pilotprojekt, bei dem wir inhabergeführte Hotels mit Kultur- und Kreativwirtschaft zusammenführen, mit einzelnen Akteuren, die dort gemeinsam an Lösungen, an Perspektiven arbeiten, wie sich diese kleineren Hotels in München gemeinsam besser vermarkten können.

Insbesondere große Firmen haben Interesse an neuen Innovationszugängen. Firmen wie Google, Microsoft oder Amazon schaffen in ihren Headquarters in München Atmosphären, die diesen Creative Spirit abbilden, den man beispielsweise in einem Coworking Space oder einem Innovation Hub viel eher als in einem traditionellen Einzelbürogebäude hat. Diese Zugänge werden auch von kleineren Unternehmen in München gesucht.

Geht es da eher um Räume oder um Zusammenarbeit?

Susanne Mitterer: Um beides: Es geht darum, Arbeitsräume zur Verfügung zu stellen und Synergien zu erreichen. Und da haben plötzlich auch große Unternehmen ein ganz großes Interesse. Denn eines der großen Probleme in München ist der Fachkräftemangel. Dazu kommen die unglaublich hohen Lebenshaltungskosten. Insofern werden auch für große Unternehmen Coworking Spaces in der weiten Metropolregion München interessant: in denen Kreativunternehmen, Start-ups und Künstlerinnen und Künstler arbeiten und die einen kreativen Spirit ausstrahlen. Hier können sie auch Plätze für ihre Mitarbeiter bereitstellen, damit die nicht jeden Tag aus dem Umland in die Stadt reinpendeln müssen, sondern vielleicht einen Teil ihrer Arbeitszeit dort draußen arbeiten können. Aber dann in einem kreativen, anregenden Umfeld und nicht alleine im Homeoffice.

Was sind denn andere Themen, wo Sie gemerkt haben: Da finden Kreative und andere Unternehmen zueinander?

Susanne Mitterer: Was wir sehr stark bespielen– das hängt jetzt wieder mit der besonderen Raumsituation in München zusammen –, ist das Thema Zwischennutzung. Da können wir städtische Immobilien aufschließen und verfügbar machen, da das Kompetenzteam Teil der Stadtverwaltung ist. Ich habe vorhin schon den Laden im Münchner Rathaus erwähnt. Es gibt auch größere Gebäudeflächen, die für ein paar Jahre zur Verfügung gestellt werden können. Übrigens auch von privater Seite. Wir haben jetzt gerade in der Münchner Fußgängerzone ein sehr großes Projekt mit einem privaten Immobilieninvestor, das für die Sichtbarkeit der Kultur- und Kreativwirtschaft sorgt. Da kooperieren 80 Kreativunternehmen unter der Überschrift „Kollaboratives Arbeiten“ fünf Monate lang auf 2000 Quadratmetern.

Was bringt gerade die privaten Zur-Verfügung-Steller dazu, Kreative durch Immobilien-Zwischennutzung zu unterstützen?

Susanne Mitterer: In München ist der Immobilienmarkt extrem umkämpft. Leerstand wird sehr, sehr kritisch wahrgenommen. Insofern sind kreativwirtschaftliche Zwischennutzungen natürlich eine Möglichkeit für ein Unternehmen, sich als Teil dieser Stadt zu verstehen. Ich kann und will als Immobilienunternehmen bestimmte Ecken nicht komplett totentwickeln und nur das Maximale rausholen. Wo kann ich mit einem für mich vertretbaren Aufwand in der Stadt Räume bieten und dabei meiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden? Dazu kommt, dass neue Quartiere mit Zwischennutzungen durch Kultur- und Kreativschaffende diese auf eine positive Art prägen. Hier wird sichtbar, welche Potenziale in der Branche liegen, was geht, wie vielfältig, wie bunt, wie reich die kreative Szene der Stadt ist. Und gleichzeitig reduzieren diese Zwischennutzungen auch auf Seiten der Kreativen diese Berührungsängste: nach dem Motto: die bösen Vermieter. Da entsteht ein gegenseitiger Nutzen, da ist ein Mehrwert für alle.

Zum Schluss: Wie wichtig ist die Kultur- und Kreativwirtschaft in München denn insgesamt unter dem Strich?

Susanne Mitterer: Es gibt eine schöne Zahl: München steht ja auch für die Automobilindustrie. In der Metropolregion München arbeiten ungefähr 138.000 Leute in der Automobilindustrie. In der Kultur- und Kreativwirtschaft ungefähr 100.000. Wenn man Kultur- und Kreativwirtschaft europäisch denkt, kämen die Angestellten der Museen und öffentlichen Kultureinrichtungen noch dazu. 23 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung in 2016 mit starker weiterer Dynamik nach oben. Das ist sehr ermutigend aber auch eine große Verantwortung für die Stadt.

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