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13.05.2019 -

Kultur- und Kreativwirtschaft in… Sachsen: Impulsgeber und Job-Bringer Interview mit Christian Rost, Projektleiter Kreatives Sachsen

Einleitung

  • 13.05.2019

Darüber, was mit Kultur- und Kreativwirtschaft gemeint ist, besteht mittlerweile weitgehend Einigkeit. Dabei gibt es landauf, landab ganz unterschiedliche Standortbedingungen, die für eine jeweils besondere Ausprägung der Kreativszene sorgen. Und je nach regionalen Stärken werden zuweilen auch Kreative zur Kreativbranche gezählt, die die „reine Lehre“ so nicht vorgesehen hat.

Herr Rost: Was ist das Besondere an der Kultur- und Kreativwirtschaft in Sachsen?

Christian Rost: Ich fange mal andersherum an: Wie viele andere auch orientieren wir uns bei der Betrachtung der Kultur- und Kreativunternehmen an der Teilbranchen-Einteilung der Wirtschaftsministerkonferenz. Dabei haben wir in Sachsen noch eine Besonderheit anzubieten: das Kunsthandwerk. Das ist traditionell stark verortet im erzgebirgischen Raum. Das sind die bekannten Männel-Schnitzer. Und auch die, die traditionelles Kunsthandwerk neu interpretieren: beispielsweise die Designerinnen und Designer, die das mit der sorbischen Mode tun, oder die Schnitzer, die den Räucher-Männeln das Aussehen von Hip-Hoppern oder Rappern verpassen.

Wie wichtig ist die Kultur- und Kreativwirtschaft insgesamt für Sachsen?

Christian Rost: Grundsätzlich reden wir in Sachsen über 10.000 Unternehmen mit insgesamt 70.000 Erwerbstätigen. Dabei haben wir hier eine ganz gute Mischung: mit zwei urbanen Zentren, mit Dresden und Leipzig, die sehr stark wachstumsorientiert sind, den wichtigen Wirtschaftsstandort Chemnitz und wir haben einen ländlichen Raum, der in Teilen dicht oder auch dünn besiedelt ist, z.B. in der Lausitz. Und etwa 50 Prozent der Unternehmen Kultur- und Kreativwirtschaft sind in der Fläche zu finden, also jenseits der urbanen Zentren.

Es geht ja sicher nicht nur um Räucher-Männel. Welche Branchen haben in den Ballungszentren und abseits davon die Nase vorn?

Christian Rost: Wie auf Bundesebene auch: Software und Games. Das Interessante ist aber, und das spiegelt sich dann auch im ländlichen Raum wider, dass wir im Bereich Design und Musikwirtschaft zusammengenommen genauso viel Umsatz erwirtschaften wie im Softwarebereich. Das ist glaube ich auch für Deutschland insgesamt ein Alleinstellungsmerkmal. Was die Musikwirtschaft angeht: Das liegt in Sachsen ein bisschen an der Musikinstrumentenproduktion, die traditionell im vogtländischen Raum verortet und die dort auch sehr stark ist.

Die Musikinstrumentenproduktion im Vogtland: Was für Instrumente werden da gebaut?

Christian Rost: Das ist ganz unterschiedlich. Da gibt es Gitarrenhersteller. Das sind Meisterunternehmen, die zwar nur wenige Instrumente im Jahr bauen, die dann aber gleich mal ein paar Tausend Euro kosten. Oder die Hersteller von Schlagzeugen und Percussioninstrumenten. Und nicht zu vergessen die weltweit renommierten Streichinstrumentenbauer.

Und beim Design? Haben Sie dafür auch ein typisches Beispiel?

Christian Rost: Ein Beispiel, was mir ad hoc einfällt, ist das Studio Hartenstein hier in Leipzig. Das ist gerade für den Bundespreis Eco-Design nominiert worden und hat auch schon andere Designpreise gewonnen. Und zwar mit einem Möbel-Modulsystem für Büros, das komplett hier vor Ort entsteht und sehr genau auf die Anforderungen in der Arbeitswelt reagiert.

Welche besonderen Standortbedingungen finden Kreative in Sachsen?

Christian Rost: Wir sind eines der Länder in Deutschland gewesen, in denen die Industrialisierung zuerst Fuß gefasst hat. Heute haben wir relativ viel alte Industriekultur und auch viel Leerstand. Der zieht Kreative an. So werden ehemalige Industrieareale durch die Akteure zu Kreativzentren entwickelt, im Rahmen von Zwischennutzungen oder Umnutzungen beispielsweise. Und da die urbanen Räume Leipzig und Dresden schon mehr oder weniger dicht sind, orientieren sich die Kreativen nun auch verstärkt in Richtung kleine Mittelstädte und den ländlichen Raum. Allein das ibug, das Industriebrachenumgestaltungsfestival in Sachsen, lockt jährlich über 150 internationale Künstler und bis zu 20.000 Besucher an.

Sachsen zieht also mit seinen Raumangeboten Kreative an. Zahlt sich das für die sächsische Wirtschaft insgesamt aus?

Christian Rost: Aber ja. Dabei muss man Folgendes noch berücksichtigen: In Sachsen war ja jahrhundertelang der Braunkohle-Tagebau verwurzelt. Jetzt sind die Reviere stillgelegt. Und dadurch sind natürlich sehr viele Arbeitsplätze weggefallen. Wir merken, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft dieses Arbeitskräftereservoir ein Stück weit auffängt. Nicht 1:1. Aber wir sehen, dass es die einzige Branche in Sachsen ist, die überdimensional Zuwächse verzeichnet, was die Erwerbstätigen betrifft.

Wo und wie finden Kreative und andere Branchen in Sachsen zusammen?

Christian Rost: Wir haben eine sehr agile kleinteilige Unternehmensstruktur in Sachsen: Maschinenbau, Handwerk, Tourismus. Und die sind natürlich jetzt alle konfrontiert mit den Veränderungen, die anstehen, wie die Digitalisierung, oder der demografische Wandel. Die Unternehmen wissen, dass sie da was machen müssen. Und hier bietet sich die Kultur- und Kreativwirtschaft als Impulsgeber an. Die Kultur- und Kreativschaffenden werden mehr und mehr als Ermöglicher, als Unterstützern bei den notwendigen Veränderungsprozessen wahrgenommen. Das passiert bei Innovationsstammtischen, wo man sich auch erstmal kennenlernt, vielleicht auch Ressentiments ablegt, und dann aber auch in unseren Innovationswerkstätten, wo es konkreter wird und wirklich etwas Neues entsteht. Ich erinnere mich an einen Orthopädiehandwerker, der eigentlich erst einmal ganz klassisch gedacht haben: Okay, da kommen ein paar Kreative, und da lassen wir uns mal ein paar neue Flyer gestalten. Nach einem Tag Innovationswerkstatt war klar, dass das Unternehmen ganz andere Sorgen hatte: Wie sollte es seine Werte vermitteln? Wie die Vermarktung organisieren? Wie die Kunden ansprechen? Da waren viele offene Fragen , wie sich herausstellte. Bisher kamen die Kunden und wollte halt ein paar Schuhe. Das ist aber längst nicht alles, was das Unternehmen anzubieten hat. Jetzt entsteht mit den Kreativschaffenden zusammen eine komplett neue Außendarstellung, um überhaupt erst einmal das zu kommunizieren, was sie da alles produzieren und anzubieten haben. Das mitzuerleben, war ein Schlüsselmoment für alle Beteiligten.

Ermöglicher und Unterstützer: Dann spielen die Kreativen heute insgesamt eine wichtige Rolle in Sachsen?

Christian Rost: Auf jeden Fall. Es gibt viele Unternehmen, die mittlerweile ihre Produkte europaweit vertreiben. Das eigentlich wirtschaftliche Potenzial liegt in der Auftragsvergabe an Unternehmen in der Region. Das Spannende ist, dass Kultur- und Kreativschaffende so mehr und mehr auch Produzenten werden, die aber nicht den ganzen Produktionsprozess zu sich in die Firma holen, sondern an Handwerksunternehmen und Zulieferer in der Region auslagern. Dabei behalten sie allerdings die Kontrolle über die Wertschöpfungskette von der Gestaltung bis hin zum Vertrieb. Das ist ein Trend hier bei uns: Die Kreativschaffenden sind nicht mehr nur Dienstleister, sondern werden, gerade im Designbereich, mehr und mehr zu Auftraggebern. Sie sind also nicht nur Impulsgeber für Innovationen, sondern auch die Job-Bringer.

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