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13.05.2019 -

Kultur- und Kreativwirtschaft in… Berlin: auch Clubs und Mode Interview mit Jürgen Schepers, Branchenkoordinator Kreativwirtschaft der IHK Berlin

Einleitung

  • 13.05.2019

Darüber, was mit Kultur- und Kreativwirtschaft gemeint ist, besteht mittlerweile weitgehend Einigkeit. Dabei gibt es landauf, landab ganz unterschiedliche Standortbedingungen, die für eine jeweils besondere Ausprägung der Kreativszene sorgen. Und je nach regionalen Stärken werden zuweilen auch Kreative zur Kreativbranche gezählt, die die „reine Lehre“ so nicht vorgesehen hat.

Herr Schepers, was ist denn das Besondere in Sachen Kultur- und Kreativwirtschaft in Berlin?

Jürgen Schepers: Ich glaube, das Besondere an der Berliner Kreativwirtschaft ist die Historie. Berlin hat die wahnsinnige Chance gehabt, dass hier nach dem Fall der Mauer und der Wende viele Unregelmäßigkeiten bestanden: Wem gehört was? Was kann ich hier machen? Das hat natürlich eine Sogwirkung für Kreative aus der ganzen Welt gehabt. Die sind nach Berlin gekommen. Hier konnte ich günstig leben, viele haben einfach leerstehende Häuser besetzt, und konnte dort anfangen, meine eigenen Projekte umzusetzen. Viele Kreative aus allen Ecken der Welt sind nach Berlin gekommen und haben dadurch der Stadt ihren kreativen Stempel aufgedrückt. Und heute, wenn wir die letzten 15 Jahre betrachten, ist daraus eine florierende Wirtschaftsbranche entstanden. So hat die Kreativwirtschaft in 2016 zehn Prozent des gesamten Einkommens der Berliner Wirtschaft ausgemacht.

Welches sind denn die erfolgreichsten Kreativen in Berlin?

Jürgen Schepers: Gemessen am Umsatz in der Kreativwirtschaft sind das Design und Games/Software. Das sind die beiden starken Branchen.

Also eher eine klassische Situation: Design und Games/Software vorneweg. Sonst nichts Ungewöhnliches?

Jürgen Schepers: Doch. Wir haben hier in Berlin die Definition der Kreativwirtschaft und ihrer Teilbranchen ein wenig erweitert. So betrachten wir speziell die Clubszene oder die Modebranche sozusagen als eigene Teilbranchen der Kreativwirtschaft. Clubs haben in der Hauptstadt eine lange und besondere Tradition. Es handelt sich dabei nicht etwa um Großraumdiskotheken, sondern um Kreative, die ein eigenes künstlerisches Programm gestalten und so Kunst mit Musik verbinden. Und was die Modebranche angeht: Die gehört ja eigentlich zum Design. In Berlin sind aber 2.800 Unternehmen im Modebereich tätig, und neun Hochschulen bieten modespezifische Studiengänge an. Dazu kommt eine Vielzahl junger Modedesigner und die zweimal jährlich stattfindende Fashion Week. Daher auch hier die besondere Bedeutung als Quasi-Teilbranche.

Wie mischen sich die Berliner Kreativunternehmen ins gesamte Wirtschaftsleben ein?

Jürgen Schepers: Berlin definiert sich eigentlich über Netzwerke. Und diese werden von Politik und Verwaltung unterstützt und gefördert sowie von Institutionen, Verbänden und Vereinen der unterschiedlichen Teilbranchen der Kreativwirtschaft gepflegt. Die Formate sind unterschiedlich und beziehen häufig auch Wissenschaft und Forschung mit ein. Schwerpunktthemen können Digitalisierung, Finanzierung oder juristisch relevante Themen sein. Mal auf die eigene Branche ausgerichtet, häufig aber im Dialog mit anderen Wirtschaftsbranchen. Mal in Form eines Kongresses, mal Workshop, Get-togethers oder Matchmaking Dinner.

Fremdeln die klassischen Unternehmen mit der Kreativbranche immer noch ein wenig?

Jürgen Schepers: Ich glaube, das Problem ist heute nicht mehr so relevant, früher schon eher. Für diejenigen Unternehmen, die nicht aus der Kreativwirtschaft, sondern aus den klassischen Branchen wie Industrie, Handel etc. kamen, war schwer zu begreifen, warum kreative Leistung soundso viel kosteten. Warum kostet mich ein neues Logo mit Briefpapier einen fünfstelligen Eurobetrag? Ich glaube, dass sich das heute geändert hat, dass alle Unternehmen wissen, wie wichtig eine öffentliche Präsenz und wie wichtig gute Werbe- und Kommunikations-Kampagnen sind. Unternehmen aus klassischen Wirtschaftsbranchen wie Banken oder Gesundheit hätten doch noch vor wenigen Jahren im Traum nicht daran gedacht, dass sie sich auch auf Facebook und auf Instagram präsentieren sollen.

Wie sehr begreifen die Unternehmen die Zusammenarbeit mit Kreativen heute als Chance?

Jürgen Schepers: Die Unternehmen begreifen vor allem, wie wichtig Innovation ist. Die Kreativen weisen häufig auf Entwicklungen hin, die auf die Unternehmen zukommen. Die Unternehmen orientieren sich immer stärker daran. Da, glaube ich, ist ein Verständnis für einander und ein Aufeinander-Zugehen entstanden, um gemeinsam Dinge zu bewegen. Das geschieht dann in innovativen Prozessen wie z.B. dem Design Thinking, das aus der Kreativwirtschaft kommt.

Und wie wichtig nimmt die Stadt Berlin ihre Kreativen?

Jürgen Schepers: Was ich hier in Berlin feststelle, ist, dass Politik und Verwaltung immer enger mit den Kreativen zusammenarbeiten und auch auf deren Impulse setzen. Dabei muss man fairerweise aber auch sagen, dass es noch Potenzial nach oben gibt. Ein gutes Beispiel ist jetzt gerade der partizipative öffentliche Prozess zur Entwicklung der Alten Münze – eines der letzten Sahnestücke an Gebäuden, die im Besitz des Landes sind. Hier gab es erstmals eine öffentliche Veranstaltung, auf der alle betroffenen Parteien angesprochen wurden. Dann gibt es jetzt Workshops, bei denen Mitglieder des Senats, Unternehmer und auch Kreative zusammenkommen, um gemeinsam ein Konzept zu entwickeln, wie man die Alte Münze nutzen kann. Übrigens unter der Prämisse, dass die, die weniger Geld zur Verfügung haben, über die sich dort ansiedelnden Wirtschaftsbetriebe quersubventioniert werden können. Das heißt z.B.: Ein Club oder Restaurant, die könnten höhere Mieten zahlen. Wenn ich die einnehme, kann ich für den Künstler, der seinen Atelierraum braucht, eine günstigere Miete ansetzen. Und dieses Konzept ist ausdrücklicher Wunsch des Berliner Abgeordnetenhauses.

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