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19.09.2022 -

„Kreativschaffende bringen Kompetenzen mit, die sowohl für Innovationen als auch für eine effektive Zusammenarbeit wichtig sind.“
Interview mit Roman Bartuli, Prognos AG

Einleitung

Roman Bartuli

© Axel Zajaczek

Eine interdisziplinäre und branchenübergreifende Zusammenarbeit wird für die Innovationskultur von Volkswirtschaften in Zukunft immer wichtiger. In der Kultur- und Kreativwirtschaft sind Kooperations- und Kollaborationspraktiken seit Längerem ein fester Bestandteil der Arbeitspraxis. Im Auftrag des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft analysierte Prognos in neun Fallbeispielen die Bedingungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Kreativschaffenden und Unternehmen anderer Branchen. Die Ergebnisse sind im Themendossier „Erfolgsfaktoren von Cross Innovation mit der Kultur- und Kreativwirtschaft“ zusammengefasst. Die wichtigsten erläutert Roman Bartuli von der Prognos AG.

Welche guten Voraussetzungen bringen Kultur- und Kreativakteure für Cross Innovation-Vorhaben mit?

Bartuli: Bei Cross Innovation geht es darum, Wissen, Erfahrungen und Kompetenzen unterschiedlicher Branchen zusammenzubringen, um neuartige Produkte, Dienstleistungen oder Prozesse zu entwickeln. Kreativschaffende sind für solche Vorhaben besonders interessant, weil sie Kompetenzen mitbringen, die sowohl für Innovationen als auch für eine effektive Zusammenarbeit wichtig sind.

Zum einen bringen sie andersartige Denkweisen und Methoden ein. Denken Sie ans „Design Thinking“ oder andere Innovationstechniken wie „Search the Odd“ oder dem „Embodiment“. Das sind Innovationsmethoden, die ihren Ursprung in der Kultur- und Kreativwirtschaft haben und mittlerweile in anderen Bereichen eingesetzt werden. Damit öffnen Kreativschaffende neue Lösungsraume. Zum anderen können Kreativschaffende mit Ergebnisoffenheit und Unsicherheiten umgehen. Zu Beginn eines Innovationsprozesses weiß ich ja nicht, ob die entwickelten Ideen erfolgreich sein werden. Kreativschaffende sind dabei gewohnt, auf Unsicherheiten flexibel und situativ zu reagieren, das zeigen uns die Corona-Pandemie oder die kontinuierlichen Veränderungen der Digitalisierung. Diese Fähigkeiten fehlen Kooperationspartnerinnen und -partnern auf der Gegenseite häufig.

Erfahrung mit Unsicherheiten macht noch keine guten Kooperationspartner, oder?

Bartuli: Nein. Es braucht auch Kompetenzen in der praktischen Zusammenarbeit mit Anderen. Die KKW ist bekanntermaßen sehr kleinteilig, mehr als 95 Prozent der Unternehmen gehören zur Gruppe der Freischaffenden und Soloselbständigen. Gerade für diese Gruppe spielen Netzwerke und Partnerschaften eine größere Rolle, quasi als Nachteilsausgleich für Ressourcenengpässe. Kooperationen sind damit bereits strukturell in der Branche angelegt, und die Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams ist gang und gäbe.

Welche weiteren Voraussetzungen neben Erfahrung mit Unsicherheiten und der zwangsläufigen Kooperationsfähigkeit gibt es?

Bartuli: Die Kundennähe. Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist eine kunden- und dienstleistungsorientierte Branche. Viele der Produkte der Dienstleistung, die entwickelt werden, entstehen praktisch im direkten Kundenkontakt.
Natürlich handeln auch andere Branchen kundenorientiert, müssen sie ja. Aber die haben doch meistens Kundengruppen im Visier. In der Kultur- und Kreativwirtschaft entstehen dagegen viele Unikate und Einzelanfertigungen im engen Austausch mit Auftraggeberinnen und Auftraggebern. Wenn ich beispielsweise einen Vorschlag für das Design einer Webseite machen soll, dann ist dieser sehr spezifisch auf die Kundenwünsche ausgelegt. Die Nähe, die Kreativschaffende zu ihren Kunden pflegen, ist daher viel größer als die in anderen Branchen. Und sie erfassen schneller, welche Bedarfe und Ziele Partnerunternehmen verfolgen.

Wenn Sie diese besondere Kundennähe ansprechen: Die gibt es ja nicht überall in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Sind bestimmte Teilbranchen mehr für Cross Innovation-Projekte geeignet, andere weniger?

Bartuli: Es ist schon so, dass wir Kooperationen häufiger in Teilmärkten wie der Designwirtschaft, dem Werbemarkt und der Software- und Games-Industrie beobachten. Das sind Teilmärkte und Berufsfelder, die bereits eine gewisse Nähe und Routine im Umgang mit Unternehmen der klassischen Wirtschaft haben. Weniger stark vertreten sind die sogenannten Solokünste, also Kreativschaffende aus der bildenden Kunst, dem Journalismus oder der Schriftstellerei. Kooperation mit Unternehmen sind hier gewöhnlich nicht so stark gefordert. Hinzu kommt, dass in diesen Bereichen bei zu großer Nähe zu Unternehmen schnell ein genereller Kommerzvorwurf unterstellt wird. Das wirkt sich negativ auf die Integrität von Künstlerinnen und Künstler aus. Außerdem werden Soloarbeiten vom Markt tendenziell höher bewertet als Arbeiten im Kollektiv. Insofern sind die Anreize für Kooperationen in den Solokünsten nicht so stark gegeben wie in anderen Bereichen der Kultur- und Kreativwirtschaft. Was allerdings nicht heißt, dass sie irrelevant für Cross Innovation-Vorhaben sind – im Gegenteil.

Was ist erforderlich, um Cross-Innovation-Vorhaben anzuschieben?

Bartuli: Es ist leider immer noch so, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft eher selten als mögliche Innovationstreiberin bei Unternehmen wahrgenommen wird. Häufig werden Kreativschaffende mit Marketing und Branding-Aspekten in Verbindung gebracht oder mit dem „Verschönern“ von Produkten. Die Potenziale für Innovationen in Bereichen der Geschäftsmodellentwicklung, der Prozessoptimierung oder in Human Resources werden kaum gesehen. Insofern fehlt da der Markt für Cross Innovation. Vor allem fehlen die Schnittstellen, wo Angebot und Nachfrage zueinander finden. Wir konnten in unserer Studie feststellen, dass erfolgreiche Kooperationsprojekte Lösungen gefunden haben, vor allem mit dieser Herausforderung umzugehen.

Welches sind die Erfolgsfaktoren für konkrete Cross-Innovation-Vorhaben?

Bartuli: Das fängt mit dem Matching an, also dem Zusammenbringen von Kreativen mit Unternehmen anderer Branchen. Da geht es vor allem um die Teamzusammensetzung, die sicherstellt, dass sich Kompetenzen und Wissen gut ergänzen. Hier zeigte sich auch, dass divers aufgestellte Teams mit Teilnehmenden gerade auch aus den Solokünsten wichtige Innovationsimpulse setzen können. Außerdem müssen Matching-Institutionen ein stückweit Erwartungsmanagement betreiben, also darauf hinweisen, dass es sich dabei um eine Investition handelt, die mit Kosten, Zeit und Personal verbunden ist und selbstverständlich mit Risiken, beispielsweise dem, dass dabei nichts Brauchbares herauskommen könnte. Generell ist vor jedem Projektstart aber auch wichtig zu klären, was der finanzielle und rechtliche Rahmen für die Kooperation ist. Dazu gehören eine für beide Seiten faire Ausgestaltung von Honoraren und Kosten sowie rechtliche Aspekte über die Verwertung der Ergebnisse.

Was ist entscheidend dafür, dass ein solches Vorhaben nach dem Start erfolgreich über die Bühne geht?

Bartuli: Das Prozessformat muss zur jeweiligen Fragestellung passen muss -- je komplexer ein Case, umso aufwendiger der Prozess. Da reicht ein dreitägiger Workshop nicht aus. Dazu kommt die Wahl passender Kreativmethoden, mit denen gearbeitet wird; das Design Thinking und weitere hatte ich ja schon erwähnt. Und natürlich muss das Zwischenmenschliche stimmen -- interdisziplinäre Zusammenarbeit lebt von einer offenen Kommunikation beim Wissensaustausch. Gleichzeitig haben wir es hier mit Menschen zu tun, die aus sehr unterschiedlichen Welten kommen und eine eigene Sprache sprechen. Und außerdem geht es beim Cross Innovation nicht um die klassische Auftraggebenden-Auftragnehmenden-Beziehung, sondern um gleichwertige Akteure mit einem gemeinsamen Ziel. Das muss sich im Prozess widerspiegeln.

Und diese Erfolgsfaktoren haben Sie bei allen Ihren Fallbeispielen, die Sie analysiert haben, vorgefunden?

Bartuli: Mal mehr, mal weniger. Nehmen Sie beispielsweise das Projekt Faircraft. Da ging es darum, eine Flugzeugkabine für Kurzstreckenflüge zu planen, die leichter ist und damit den Kraftstoffverbrauch reduziert. Das Projekt hat sechs Monate gedauert und wurde vom Cross Innovation Hub der Hamburger Kreativgesellschaft als Intermediär begleitet. Mit am Tisch saßen mehrere Flugzeughersteller, Designerinnen und Designer sowie eine Schriftstellerin. Natürlich waren die Designkompetenzen wichtig. Aber erst durch die Schriftstellerin wurde deutlich, wie zentral das begleitende Narrativ zum Produkt ist und wie stark der Prozess insgesamt vom Austausch unterschiedlicher Kreativdisziplinen lebt. Was wir allerdings ebenfalls beobachten konnten, gerade auch in anderen Fallbeispielen, war, dass Lösungsansätze und Prototypen nicht weiterentwickelt wurden. Da fehlte häufig das Commitment der Geschäftsführung, also die Bereitschaft, die notwendigen Ressourcen für die Fortentwicklung der ersten Projektergebnisse bereitzustellen.

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