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08.12.2022 -

„Das IGP unterstützt explizit Projekte, die mit einem Risiko verbunden sind. Das ist bei uns der Fall.“ Interview mit Harmke Heezen, High Road Stories

Einleitung

Harmke Heezen und Mike Robbins

Harmke Heezen und Mike Robbins

© High Road Stories Heezen & Robbins GbR

Mit ihren vielfältigen immersiven Projekten haben sich Harmke Heezen und Mike Robbins international bereits einen Namen gemacht. Die Filmemacherin und der Creative Technologist eröffnen Besucherinnen und Besuchern den Zugang zu ganz neuen virtuellen Welten. Aktuell arbeiten sie in ihrem Berliner Studio „High Road Stories“ gemeinsam mit einem Netzwerk von Künstlerinnen und Künstlern an einem Virtual-Reality-Format, das Musikkonzerte im digitalen Raum vollkommen neu erlebbar macht. Bei der Entwicklung werden sie durch das IGP - Innovationsprogramm für Geschäftsmodelle und Pionierlösungen des Bundeswirtschaftsministeriums unterstützt.

Frau Heezen, Sie möchte das Konzerterlebnis im virtuellen Raum intensiver gestalten. Worum geht es genau?

Heezen: Konkret arbeiten wir gerade gemeinsam mit der Bochumer Musikagentur Radar Media an dreidimensionalen virtuellen Veranstaltungsorten. Sie vermitteln den Zuschauerinnen und Zuschauern den Eindruck, sich praktisch frei durch die dargestellte Szenerie bewegen zu können. Das hat den Effekt, dass man sich bei einem Konzert zum Beispiel dem Schlagzeug nicht nur nähern kann, sondern es außerdem lauter hört. Die ganze Experience ist durch ihre Räumlichkeit sehr intensiv.

Unser Ziel ist es, dass man diesen virtuellen Konzertraum so oft man möchte besuchen und immer wieder neue Konzert in neuer Umgebung erleben kann. Was man dafür braucht, ist eine VR-Brille mit integriertem Store. Davon gibt es bereits einige. Dort kauft man dann praktisch das Ticket für das Konzert, das man besuchen möchte.

Wie sieht die Technik dahinter aus?

Heezen: Wir produzieren zunächst dreidimensionale Videos, indem wir die Musikerinnen und Musiker während eines Konzerts von allen Seiten filmen. Anschließend entwerfen wir einen virtuellen Konzertraum, der sich vom Design her an der Stilrichtung der Musik orientiert. Einfach gesagt: Billie Eilish braucht einen anderen Raum als Bruce Springsteen.

Gibt es so etwas Ähnliches nicht schon?

Heezen: Nein, es gibt zwar schon viele virtuelle Konzerte, aber die sind meist Bestandteile von Games. Die Musikerinnen und Musiker sind in dem Fall Avatare und sehen aus wie Computercartoons. Wir möchten dagegen Musikerinnen und Musiker als echte Menschen präsentieren.

Wie ist die Idee entstanden?

Heezen: Wir hatten mit unserem Partner Radar Media anlässlich des 30. Jubiläums der Fantastischen Vier 2019 bereits ein Projekt durchgeführt, mit dem wir Erfahrungen in der Richtung gesammelt haben. Es handelte sich dabei um eine VR-Experience auf Basis des Songs „Tag am Meer“. Wir haben die Botschaft des Songtextes adaptiert, so dass daraus ein dreidimensionaler 45-minütiger Trip entstanden ist, bei dem man mit der Band am Strand verschiedene Dinge erleben kann. Unsere Anwendung wurde damals u.a. auf dem Reeperbahn-Festival und im Stadtpalais Stuttgart gezeigt.

Die Zusammenarbeit hat uns so gut gefallen, dass wir einfach noch mehr im Musikbereich machen wollten. Ja, und dann kam die Pandemie. Wir haben alle auf YouTube usw. gesehen, wie Musikerinnen und Musiker versucht haben, ihr Publikum zu halten, indem sie vor ihren Webcams gespielt und gesungen haben. Letztlich war das aber alles nicht so erfolgreich. In dem Kontext entstand die Idee, einen virtuellen Raum für Konzerte zu kreieren.

In welcher Phase befindet sich ihr Projekt aktuell?

Heezen: Wir haben gerade eine erste Demo mit Martin Kohlstedt produziert. Martin spielt Klavier und bearbeitet seine Musik digital. Er hat im Studio ein Stück improvisiert, das wir audiovisuell aufgezeichnet und anschließend einen virtuellen Raum dafür entworfen haben.

Kommen wir zum IGP - Innovationsprogramm für Geschäftsmodelle und Pionierlösungen. Sie erhalten seit 2021 Mittel aus dem Programm des Bundeswirtschaftsministeriums. Was finanzieren Sie damit?

Heezen: Wir finanzieren damit vor allem die Programmierung der Demos sowie weitere Arbeitsaufgaben. Unser Partner, Radar Media, setzt sich zum Beispiel gerade intensiv mit der Konzeption unseres Geschäftsmodells auseinander: Wie läuft das, wenn wir Tickets verkaufen? Wie können wir dafür sorgen, dass die Künstlerinnen und Künstler fair bezahlt werden? Wie sieht das alles rechtlich aus? Außerdem können wir Aufträge an Dritte mit dem IGP finanzieren. Dazu gehört zum Beispiel die Nutzung eines Studios für volumetrische Aufnahmen. Insgesamt können wir mit dem IGP etwa die Hälfte der Kosten decken. Den Rest steuern wir aus eigenen Mitteln bei.

Manch einer schreckt schon vor der Beantragung von Förderprogrammen zurück. Wie war die Antragstellung beim IGP?

Heezen: Es war nicht kompliziert. Wir haben den Antrag beim IGP-Projektträger VDI/VDE-IT gestellt. Natürlich ist man gefordert, die ganze Idee noch einmal komplett zu durchdenken, um auf alle Fragen eine Antwort zu haben. Aber das ist eigentlich ganz gut, weil man dadurch feststellt, ob es noch Lücken gibt.

Wie sehen Ihre nächsten Schritte aus?

Heezen: Unser Ziel ist es, Konzerte in Echtzeit zu übertragen. Die Konzertbesucherinnen und -besucher setzen sich zum Beispiel am Freitag, 20 Uhr, ihre VR-Brille inklusive Kopfhörer auf und können das Konzert dann live sehen und hören. Die Herausforderung ist dabei, die sehr großen Datenvolumina quasi in Echtzeit zu übertragen. Dafür sind wir im Austausch mit dem Fraunhofer Institut in Berlin. Die Zusammenarbeit besteht schon länger. Es gab dort das Projekt Virtual Live. Die daran beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern waren auf uns zugekommen und haben uns gefragt, ob wir in Richtung virtuelle Live-Veranstaltungen arbeiten würden. Das hat natürlich gut gepasst.

Wie würden Sie die Förderung durch das IGP bewerten?

Heezen: Ich finde es super, nicht nur, weil es branchenübergreifend angelegt ist, sondern auch weil es explizit Projekte unterstützt, die mit einem Risiko verbunden sind. Das ist bei uns der Fall, denn derzeit ist es schwer, eine seriöse Vorhersage zu treffen, wohin die Reise in Zusammenhang mit Extended-Reality-Anwendungen gehen wird. Insofern sind wir stolz darauf, dass wir zu denjenigen gehören, die aus den zahlreichen eingereichten Projektideen ausgewählt wurden und nun unsere Zeit und andere Ressourcen in die Entwicklung einer zukunftsweisenden Konzeption investieren zu können. Ohne die Unterstützung durch das IGP wäre dies sicher nicht möglich gewesen.

Stand: November 2022