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27.02.2023 -

„Insgesamt hat sich die Kultur- und Kreativwirtschaft in der Krise als extrem flexibel und sehr dynamisch gezeigt.“ Interview mit Prof. Dr. Klaus Goldhammer und Mathias Birkel von der Goldmedia GmbH und Co-Autoren des aktuellen Monitoringberichts der Kultur- und Kreativwirtschaft

Einleitung

Prof. Dr. Klaus Goldhammer und Mathias Birkel Goldmedia GmbH

© v.r.n.l.: Prof. Dr. Klaus Goldhammer und Mathias Birkel Goldmedia GmbH

Auch wenn sich die Kultur- und Kreativwirtschaft in der Krise gut geschlagen hat, sind auch weiterhin Unterstützungsleistungen aufgrund der neuen massiven Herausforderungen notwendig. Zu diesem Schluss kommen Prof. Dr. Klaus Goldhammer und Mathias Birkel von der Goldmedia GmbH. Sie gehören zum Autorenteam, das gemeinsam mit der Hamburg Media School GmbH sowie mit Prof. Dr. Rüdiger Wink (HTWK--Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig) im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz den aktuellen Monitoringbericht der Kultur- und Kreativwirtschaft für das Jahr 2021 erstellt hat, der auch Prognosen für 2022 enthält. Im folgenden Interview stellen Prof. Dr. Klaus Goldhammer und Mathias Birkel die wichtigsten Ergebnisse vor.

Herr Professor Goldhammer, eines der Kernergebnisse des Monitoringberichts lautet, dass sich die Kultur- und Kreativwirtschaft von Corona weitgehend erholt hat. Was heißt das in Zahlen?  

Prof. Goldhammer: Uns liegen zwar noch keine aktuellen Zahlen aus der öffentlichen Statistik vor. Unsere eigenen Prognosen zeigen allerdings, dass wir bei der Kultur- und Kreativwirtschaft im Jahr 2021 von einem Gesamtumsatz von 175,4 Milliarden Euro bzw. einem Wachstum von 4,8 Prozent ausgehen können. Wenn man berücksichtigt, dass 2020 der Umsatz in allen Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft um 4,8 Prozent geschrumpft ist, zeichnet sich also eine klare Erholung ab. Und für 2022 erwarten wir sogar eine weitere Umsatzsteigerung von 3,4 Prozent auf dann 181 Milliarden Euro.

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Es handelt sich dabei um einen Durchschnittswert. Wie sieht es in den einzelnen Teilmärkten aus?

Prof. Goldhammer: Da gibt es natürlich sehr unterschiedliche Entwicklungen. Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist ja eine Querschnittsbranche, bestehend aus Presse, Buch, Film, Musik, bildender und darstellender Kunst, Design, Architektur usw. Dabei haben sich einige dieser Teilmärkte als ziemlich resilient erwiesen. Sie sind während der Pandemie sogar noch gewachsen. Dazu gehören der Buch- sowie der Architekturmarkt und vor allem die Software-/Games-Industrie. Auch der Werbemarkt und die Designwirtschaft lagen bis Ende 2022 wieder etwa auf Vor-Corona-Niveau. Dagegen wurden die darstellende Kunst und die Musikwirtschaft, insbesondere wegen des Ausfalls von Veranstaltungen, nachhaltig beschädigt. Auch die Film- sowie die Rundfunk- und Pressebranche haben noch nicht wieder das Umsatzniveau von 2019 erreicht.

Birkel: Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist mit ihren Teilmärkten ja nicht nur sehr unterschiedlich aufgestellt, auch die Teilmärkte sind für sich gesehen sehr heterogen. Wenn man sich beispielsweise den Musikmarkt anschaut, sieht man, dass es den Tonträgerverlagen, also den Labels, eigentlich durchweg gut ging. Deren Umsätze sind auch während der Pandemie gewachsen, denn sie haben auch vom Erfolg der Streaming-Plattformen profitiert. Dagegen ist das Veranstaltungssegment komplett eingebrochen und erholt sich erst sehr langsam. Ein anderes Beispiel ist die Filmwirtschaft: Dort hatten die Filmproduktionen und ihre nachgelagerten Märkte, wie die Post-Produktion und der Verleih, auch 2021 und 2022 sehr gute Jahre. Die Kinos dagegen liegen weit unter dem Niveau der Vor-Corona-Zeit. Es ist auch noch nicht absehbar, ob dieser Bereich noch einmal an die Zahlen von 2019 heranreichen wird.

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Welche Rolle haben denn die Corona-Hilfen gespielt?

Birkel: Das haben wir en Detail nicht im Rahmen des Monitorings analysiert. Dazu wird es aber 2023 eine eigene Evaluation geben, die die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) ausgeschrieben hat. Sicher kann man aber schon jetzt sagen, dass die Hilfen eine sehr große, zum Teil substanzielle Rolle gespielt haben, um die Corona-Lockdowns zu überstehen. Dazu zählen die allgemeinen Hilfen wie Kurzarbeitergeld sowie große Fördermaßnahmen wie das NEUSTART KULTUR-Programm und der Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen der BKM.

Prof. Goldhammer: Wenn man das mit dem europäischen Ausland vergleicht, wo es zum Teil gar keine Unterstützung für die Kultur- und Kreativwirtschaft gab, kann man feststellen, dass die zum Teil verheerenden Zustände andernorts, in Deutschland nicht entstanden sind. Es hat etwas gedauert, bis die Förderung überall angekommen ist, aber das allgemeine Credo ist doch, dass die vielfältige Fördermaßnahmen und -programme den Fortbestand der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland spürbar unterstützt haben.

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Kann man sagen, dass Corona im Grunde einen Prozess in den einzelnen Teilmärkten beschleunigt hat, der sich im Vorfeld schon abgezeichnet hatte?

Prof. Goldhammer: Das ist eine etwas verkürzte These, weil wir Ursache und Wirkung nicht genau kennen. Die Kinos hatten in den Jahren vor Corona durchschnittlich etwa anderthalb Prozent Besucherinnen und Besucher gegenüber dem Vorjahr verloren. Jetzt, nach Corona, kommt man aber auf ein Niveau, das 25 Prozent niedriger ist als vor der Pandemie. Von daher würde ich nicht sagen, dass Corona einen Prozess beschleunigt hat. Corona hat die Kinobranche vielmehr maßgeblich beschädigt.

Birkel: Ähnlich ist es, wenn man sich die Musikveranstaltungen anschaut: Dort gab es vor Corona ein tendenziell starkes Wachstum. Das Kerngeschäft vieler Musikerinnen und Musiker war und ist ja nicht mehr der Tonträgerverkauf oder das Streaming, sondern das Live-Geschäft. Insofern hat Corona keinen Trend verstärkt, sondern das Wachstum brutal ausgebremst. Auch wenn sich der Livebereich jetzt langsam wieder erholt, ist er bei weitem noch nicht wieder da, wo er einmal war. Gerade bei den kleineren Acts müssen nach wie vor viele Konzerte abgesagt werden, weil die Vorverkaufszahlen so gering sind. Die Veranstalterinnen und Veranstalter stehen zudem vor der Herausforderung, um Fachkräfte zu werben, die sich während der Corona-Krise anderen Branchen zugewandt haben.

Abgesehen davon, gibt es auch Märkte, denen es schon vor Corona von Jahr zu Jahr schlechter ging. Dazu gehört der klassische Pressemarkt oder auch der Rundfunkmarkt insbesondere im Bereich der Werbeerlöse. Überall dort haben bestehende Trends fortgesetzt und beschleunigt.

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Inwiefern ist die bildende Kunst von Corona betroffen gewesen?

Prof. Goldhammer: Bildende Künstlerinnen und Künstler sowie der Kunsthandel sind mit Umsatzeinbrüchen von 50 Prozent massiv geschädigt worden, weil es für sie nur noch sehr begrenzte Möglichkeiten gab, auszustellen: Online-Auktionen und Digital Viewings Rooms konnten da letztlich nicht substanziell helfen, haben aber die Branche digitalisiert. Auf den inzwischen wieder stattfindenden Kunstmessen konnten nun einige Käufe bzw. Verkäufe nachgeholt werden, aber in der Breite waren die Jahre 2020 und 2021 für die Künstlerinnen und Künstler eine dunkle Zeit, von der sie sich noch nicht erholt haben.

Birkel: Der Vollständigkeit halber muss man sagen, dass der Kunstmarkt als Teilmarkt der Kultur- und Kreativwirtschaft ökonomisch in der Gesamtschau eine vergleichsweise geringe Rolle spielt. Das gesamte Umsatzvolumen liegt 2021 ungefähr bei zwei Milliarden Euro. Gemessen am Umsatz der gesamten Kultur- und Kreativwirtschaft mit 175 Milliarden Euro ist das eher gering. Aus diesem Grund ist der Markt in der öffentlichen Debatte um die Betroffenheit einzelner Teilmärkte sicher etwas unterrepräsentiert. Das hilft jedoch nicht der einzelnen Künstlerin, dem einzelnen Künstler ohne Ausstellungen und Einnahmen.

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Welche weiteren Ergebnisse des Monitorings würden Sie hervorheben?

Prof. Goldhammer: Das Monitoring betrachtet die statistischen Daten und bietet einen Ausblick auf die künftige Entwicklung in den einzelnen Kreativ-Branchen. Darüber hinaus veröffentlichen wir auch jeweils eine Sonderanalyse, die sich im aktuellen Bericht um den Fachkräftebedarf dreht. Demnach konnte die Kultur- und Kreativwirtschaft vor der Pandemie ein überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum verzeichnen. Heute sprechen wir dagegen fast überall von Fachkräfteengpässen, ob in der Filmbranche, im Software-/Games-Bereich oder auch in der Werbebranche. Die Filmwirtschaft steht zum Beispiel vor der Frage, wie sie die einzelnen Stellen besetzen kann – nicht nur bei der Regie, bei Drehbuch und Kamera, sondern auch bei den vielen Gewerken, die damit verbunden sind.

Aus den zahlreichen Gesprächen, die wir geführt haben, wurde deutlich, dass man zukünftig mehr noch als bisher auf Weiterbildungsangebote und Qualifizierungsmaßnahmen setzen möchte, um die Berufe und Tätigkeiten attraktiver und bekannter zu machen. Das ist ein wichtiges Thema.

Birkel: Ich würde neben dem Fachkräfteengpass noch einen weiteren Punkt hervorheben: Wir haben uns in den letzten Jahren verstärkt mit der Frage beschäftigt, wie wir den Games-Markt besser abbilden können. Die unzureichende Ausweisung in der amtlichen Statistik führt leider dazu, dass der spezielle Games-Markt in dem großen Teilmarkt der Software-/Games-Industrie untergeht. Dieser Teilmarkt wird maßgeblich durch die Umsatzdaten großer Softwarekonzerne geprägt, die man bei näherer Betrachtung eher nicht der Kreativwirtschaft zurechnen würde. In der amtlichen Statistik wird aber nicht zwischen Software einerseits und Games andererseits sauber getrennt. Deswegen gibt es bereits seit längerem die Diskussion darüber, wie der Games-Markt stärker herausgearbeitet werden kann. Dazu nutzen wir nun externe Daten aus der Branche. Wir konnten damit im Rahmen einer Sonderanalyse die Games-Branche gesondert und detailliert darstellen.

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Und mit welchem Ergebnis?

Birkel: Die Games-Branche hat ein Umsatzvolumen von rund 3,7 Milliarden Euro. Das ist im Vergleich zur gesamten Software-/Games-Industrie mit einem Gesamtvolumen von 56,7 Milliarden Euro zwar eher gering. Allerdings hat sich der Games-Markt während der Pandemie als besonders resilient gezeigt. Das heißt, wir konnten in den ersten beiden Corona-Jahren ein deutliches, zweistelliges Wachstum beobachten. Das wurde nun wieder gebremst. Ende 2022 hat sich auch dort die gesamtwirtschaftliche Situation bemerkbar gemacht.

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Sie sprechen die aktuelle gesamtwirtschaftliche Situation an, die die Unternehmen erneut vor große Herausforderungen stellt.

Prof. Goldhammer: Wir haben durch den Krieg in der Ukraine, durch die Inflation und die gestiegenen Energiepreise deutlich veränderte Rahmenbedingungen. Die betreffen vor allem werbefinanzierte Medienangebote. Die Werbebudgets werden gekürzt. Die Presse und der Buchmarkt kämpfen mit gestiegenen Papierpreisen. Die Nachfrage geht zurück.

Die gestiegenen Energiepreise sind ein großes Thema. Insofern geht der geplante Kulturfonds Energie der Bundesregierung in die richtige Richtung.

Darüber hinaus beobachten wir, dass zum Beispiel Werbebudgets weg von den klassischen Medien wie Fernsehsendern oder Zeitungsverlagen hin zu den Global Online-Playern migrieren. Das hat nichts mit der akuten Situation zu tun, es sind aber trotzdem Markttendenzen, die jetzt noch einmal verstärkt werden.

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Welches Resümee ziehen Sie nach Abschluss des aktuellen Monitorings?

Prof. Goldhammer: Insgesamt kann man sagen, dass sich die Kultur- und Kreativwirtschaft in der Krise als extrem flexibel und sehr dynamisch gezeigt hat. Die Akteurinnen und Akteure haben sehr agil und flexibel auf den Lockdown reagiert und dabei vor allem digitale Alternativen soweit wie möglich genutzt.

Birkel: Dennoch sind Unterstützungsleistungen aufgrund der neuen massiven Herausforderungen weiterhin notwendig. Dabei sollte man sich auch immer vergegenwärtigen, dass eine gesunde und dynamische Kulturbranche der Gesamtwirtschaft guttut und in vielen Bereich ein Booster sein kann bzw. es schon ist. Die Kulturwirtschaft ist ein Standortfaktor für Regionen, Städte und Quartiere. Das ist etwas, was man in der Gesamtschau berücksichtigen muss.

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