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13.10.2021 -

„Wir wollen unsere Idee von Kino eigenverantwortlich umsetzen.“ Interview mit Bettina Westermann, Luna Filmtheater in Ludwigslust

Einleitung

Bettina Westermann, Luna Filmtheater in Ludwigslust

Bettina Westermann, Luna Filmtheater in Ludwigslust

© Bettina Westermann

Bettina Westermann und ihr Mann Christian Quis betreiben seit 2005 das Luna Filmtheater in Ludwigslust. Keine leichte Aufgabe, gerade in diesen Zeiten. Für das hervorragende Jahresprogramm 2020 wurden sie am 2. September 2021 mit dem zweiten Platz beim Kino-Kultur-Preis Mecklenburg-Vorpommern geehrt. Im letzten Jahr waren sie dafür sogar allein auf dem ersten Platz.

Frau Westermann, erst einmal herzlichen Glückwunsch. Was haben Sie denn für ein Jahresprogramm? Und was für ein Kino?

Westermann: Dankeschön. Ja, zum Kino: Wir haben zwei Säle, einmal mit 70 und einmal mit 40 Plätzen, und das in der kleinen mecklenburgischen Stadt Ludwigslust mit 12.000 Einwohnern. Wir werben mit dem Slogan, dass wir täglich Filmkunst zeigen, sind also ein Arthouse-Kino. Im laufenden Programm gehören dazu Filme wie beispielsweise „Minari – Wo wir Wurzeln schlagen“, die Geschichte einer koreanisch-amerikanischen Familie in den USA, ein US-amerikanischer Film, Oscar-nominiert. Oder ein wunderbarer Dokumentarfilm, die deutsch-holländische Produktion „Der Atem des Meeres“. Ein ganz beeindruckender Film über die Nordsee oder auch die verschiedenen Orte an der Küste, bei dem man erlebt, wie viel es ausmacht, das Ganze auf der großen Leinwand erleben zu können. Oder sowas wie „Peter Hase“, eine Mischung aus Real- und Animationsfilm, der bei uns im Kinderprogramm läuft. Wobei wir nicht ausschließlich Arthouse-Filme zeigen können und wollen. Sie müssen bedenken: Wir sind das einzige Kino im Umkreis von 35 Kilometern.

Wie viele Besucherinnen und Besucher kommen zu Ihnen? Oder anders gefragt: Lohnt sich das Ganze überhaupt mit 110 Plätzen?

Westermann: Was die Kinogänger-Zahlen angeht: Da liegen wir statistisch deutlich über dem Bundesdurchschnitt mit mehr oder weniger 24.000 Besucherinnen und Besuchern in normalen Jahren. Das ist ein ziemlich hoher Schnitt. Aber wir werden damit nicht reich. Darum geht es uns nicht auch nicht. Wir wollen Filme zeigen, die uns selber interessieren und von denen wir überzeugt sind, dass wir sie auch anderen Leuten zeigen sollten. Sonst könnten wir das nicht machen. In den ersten Jahren habe ich noch in Hamburg als Angestellte gearbeitet und bin immer nur die halbe Woche hier gewesen, sodass wenigstens einer von uns finanziell abgesichert war. Seit ein paar Jahren arbeite ich ausschließlich in unserem Kino, vor allem, weil der Arbeitsaufwand wesentlich größer geworden ist. Die Besucherzahlen allerdings auch: Die haben sich mehr als verdoppelt.

Woher kommt Ihre Begeisterung fürs Kino?

Westermann: Ich habe mir schon immer gerne gute Geschichten angehört, ob sie nun wahr waren oder nicht, Hauptsache, sie wurden gut erzählt. Und mein Mann hat lange Zeit in Kino-Initiativen und auch in kommerziellen Kinos gearbeitet und diese Kinos mit aufgebaut, wodurch ich wiederum näher ans Kino herangeführt wurde. Irgendwann war uns klar, dass wir uns in diesem Bereich selbständig machen wollen, um ganz eigenverantwortlich unsere Idee von Kino umzusetzen. Und ab da haben wir uns nach einem passenden Kino umgesehen.

Das passende Kino haben Sie dann in Ludwigslust im Südwesten von Mecklenburg-Vorpommern gefunden.

Westermann: Ja. Das Gebäude, in dem wir uns seit Ende 2005 befinden, war vorher bereits ein Kino. Es wurde übrigens im Jahr 1912 als erstes Kinogebäude in Mecklenburg-Vorpommern errichtet. Wichtig war für uns bei der Suche, dass das Einzugsgebiet groß genug ist. Dann haben wir über ein paar Ecken von befreundeten Kinobetreibern vom Luna in Ludwigslust erfahren. Die Wahl fiel letztlich dann auf das Luna, weil wir hier ein Kino vorgefunden haben, in dem im Prinzip alles vorhanden und das nur ein halbes Jahr geschlossen war. Und was die Region angeht: Wir beide haben zwar lange Zeit in Hamburg gelebt, kommen aber beide aus dem östlichen Niedersachsen. Es war uns also nicht so fremd, auf die andere Seite der Elbe zu gehen.

Wie haben Sie die Startfinanzierung hinbekommen?

Westermann: Erstens haben wir einen guten Vermieter: die Stadt Ludwigslust. Der war es wichtig, dass es hier weiterhin ein Kino gibt. Das heißt, unsere Pacht war zu Beginn gestaffelt, und die Stadtverwaltung hat immer eng mit uns zusammengearbeitet, zum Beispiel bei der Sanierung des Hauses im Jahr 2008. Nach der Sanierung entspricht die Pacht nun den ortsüblichen Mieten. Und zweitens konnten wir ein normalerweise teures Projekt wie eine Kinoeröffnung einigermaßen günstig über die Bühne bringen. Wie gesagt: Hier war alles vorhanden. Wir haben die Technik entstaubt und das Foyer ein bisschen aufgefrischt und eröffnet. Das hat nur ein Bruchteil von dem gekostet, was normalerweise ein Kino-Neustart kosten würde. Das nötige Kapital hierfür haben wir zum größten Teil privat geliehen.

Haben Sie mittlerweile technisch auch etwas verändert?

Westermann: Na klar. Wir haben einiges verändert. Der Vorbesitzer hatte zwar vieles neu angeschafft, einige Sachen waren allerdings schon in die Jahre gekommen. Im Zuge der Digitalisierung der Kinos um 2008, 2010, haben wir die alten analogen Projektoren durch digitale ersetzt, einschließlich der zugehörigen Server. Das hatte natürlich auch Auswirkungen auf den Rest der Technik. Beispielsweise musste die Tonanlage entsprechend angepasst bzw. erneuert werden. Das war genau zu der Zeit, als die Stadt das Gebäude von Grund auf saniert hat. Dabei wurde das Kino auf unseren Wunsch hin von einem Ein-Saal- in ein Zwei-Saal-Kino umgebaut.

Wie haben Sie die Digitalisierung finanziert?

Westermann: Das kann man nicht aus eigener Tasche machen, wenn man in so einem kleinen Ort wie diesem hier Filmkunst zeigt. Die Filmförderungsanstalt FFA hat damals speziell für Art-House-Kinos ein großes Förderprogramm zur Digitalisierung der Kinos zur Verfügung gestellt, in Kooperation mit den Bundesländern. Weil völlig klar war, dass ein Großteil der Kinos diese Digitalisierung nicht selber wuppen kann.

Apropos Förderhilfen: Ihr Kino war wegen der Corona-Pandemie lange geschlossen. Haben Sie deswegen Förderhilfen in Anspruch genommen?

Westermann: Wir haben Fördermittel beantragt und bekommen. Die Soforthilfe ist relativ schnell ausgezahlt worden, und wir haben auch verhältnismäßig zeitnah mithilfe unseres Steuerberaters die Überbrückungshilfen November und Dezember erhalten. Die Stadt Ludwigslust als Eigentümerin des Gebäudes hat uns einen Teil der Pacht gestundet. Da haben sich zwar ein paar Schulden angesammelt. Aber das hat uns erstmal Sicherheit verschafft. Außerdem hat man uns im letzten Jahr den Kino-Kultur-Preis Mecklenburg-Vorpommern verliehen. Die Preisgelder vom Bund und vom Land sind natürlich auch eine riesengroße Hilfe.

Sie haben nun wieder geöffnet. Kommen die Besucherinnen und Besucher denn auch wieder?

Westermann: Und wie. Man hat deutlich gemerkt, als wir nach acht Monaten wieder aufgemacht haben, dass die Leute sich total darauf gefreut haben, endlich wieder ins Kino zu gehen, sich die Filme auf der großen Leinwand anzusehen und sich danach, wenn auch mit Maske und Abstand, auszutauschen. Wir sind ja nicht nur eine Film-Abspielstätte. Wir sind auch ein Ort der Begegnung. Wir haben ein wunderbares großes Foyer mit vielen Tischen. Das wird sehr gerne für Gespräche nach dem Film genutzt. Dabei wurde immer wieder mal der Wunsch geäußert, dass man zum Wein gern auch eine Kleinigkeit essen würde. Das kann man jetzt in unserem Bistro: etwas essen und trinken und dabei über den Film schnacken.

Wir sieht Ihr Kino der Zukunft aus?

Westermann: Wir haben den Lockdown dafür genutzt, unsere Sitzreihen Corona-konform zu verbreitern. Und wir haben uns Gedanken gemacht, wie man das Haus zukunftsfähig machen kann. Zukunftsfähig heißt unter anderem, dass ein bisschen mehr Geld übrigbleibt. Dafür muss man neue Möglichkeiten schaffen, Geld zu verdienen und die Kosten zu senken. Unser Bistro wird auch außerhalb der Kino-Öffnungszeiten sehr gerne draußen unter dem Sonnensegel genutzt. Dadurch erzielen wir zusätzliche Einnahmen. Und was die Kosten angeht: Kinos haben ja einen riesengroßen Energieverbrauch. Darum planen wir derzeit eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach. Damit können wir über den Daumen mindestens ein Drittel unseres Stromverbrauchs selbst generieren. Das wäre schon mal ein großer Schritt.

Wenn jetzt jemand auf Sie zu käme und sagt, hört mal, Ihr kennt euch doch aus, ich würde gerne ein Programmkino eröffnen. Hätten Sie Tipps für Leute, die sich mit so einem Gedanken tragen?

Westermann: Natürlich muss man sich für die Filme interessieren, die man zeigt. Ein Programmkino oder Arthouse-Kino zu betreiben, heißt nicht, auf eine Statistik zu schielen und dann die Filme auszusuchen, die die meisten Besucherinnen und Besucher generieren. Sondern zu wissen: Welcher Film hat was zu sagen? Welcher Film berührt die Menschen? Und man muss gerne Gastgeber sein und sich für sein Publikum interessieren. Ich begrüße einen Großteil des Publikums mit Namen und kann Gästen auch sagen: „Das ist jetzt heute ein Film, der wird dir nicht gut gefallen.“ Oder: „Guck dir mal diesen oder jenen Film an. Das ist genau das Richtige für dich.“

Stand: September 2021