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14.04.2023 -

„Das Kino spielt in unserer Gesellschaft eine sehr positive Rolle.“ Interview mit Carolin Lindenmaier, HDF Kino e.V., und Norina Lin-Hi, Filmförderungsanstalt, zu den Ergebnissen der Studie „All Eyes on Audiences".

Einleitung

Interview mit Norina Lin-Hi & Carolin Lindenmaier

Norina Lin-Hi (links), Carolin Lindenmaier (rechts)

© v.l.n.r.: FFA, Mike Auerbach


Was können Kinos tun, um nach den Einschränkungen durch die Pandemie wieder Publikum anzulocken? Was kann überhaupt getan werden, um Menschen fürs Kino zu begeistern? Fragen wie diese beantwortet die Studie „All Eyes on Audiences“. Sie besteht aus mehreren Modulen und wurde im vergangenen Jahr von der GfK im Auftrag der Kinoverbände und unterstützt von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie der Filmförderungsanstalt durchgeführt.

Für die Studie wurden u.a. Gespräche mit rund 50 und eine quantitative Befragung mit rund mehr als 3.000 (potentiellen) Kinobesucherinnen und -besuchern geführt. Die finale Version der Studie wird Ende April veröffentlicht. Über die Ergebnisse von „All Eyes on Audiences“ haben wir mit Norina Lin-Hi, Leiterin der Marktforschung und Statistik bei der Filmförderungsanstalt, und Carolin Lindenmaier, stellv. Vorstand vom Hauptverband der Kinos HDF Kino e.V. gesprochen.

Frau Lindenmaier, laut Filmförderungsanstalt wurden 2022 etwa 78 Millionen Kinotickets verkauft. Der Umsatz lag bei 722 Millionen Euro. Das ist weniger als 2019, aber im Vergleich zu 2021 immerhin eine Steigerung von 85 Prozent beim Ticketverkauf und beim Umsatz sogar um 93 Prozent. Das sind doch gute Neuigkeiten, oder?  

Lindenmaier: Natürlich ist es ein großer Erfolg, dass wir bei den Besuchszahlen inzwischen wieder bei knapp 70 Prozent des vorpandemischen Niveaus sind. Aber das reicht für die Kinobetriebe noch nicht aus, um rentabel zu arbeiten. Wir müssen es gemeinsam als Branche schaffen, wieder 120 Millionen Besucherinnen und Besucher und mehr zu erreichen. Mit der aktuellen Studie haben wir nun einige Anhaltspunkte, in welchen Bereichen wir konkret etwas tun können, um insbesondere die Reichweite zu steigern.

Frau Lin-Hi, das befürchtete Kinosterben hat demnach nicht eingesetzt?

Lin-Hi: Nein. Tatsächlich ist es so, dass es bei der Zahl der Leinwände keine starken Verluste gab. Vor der Pandemie gab es bundesweit Kinos und weitere Spielstätten mit 4.961 Leinwänden. Ende 2022 waren es immer noch 4.911. Das heißt, der Rückgang in der Gesamtbetrachtung war sehr gering.

Und diejenigen, die schließen mussten, waren eher die kleineren Kinos?

Lin-Hi: Grundsätzlich ist es so, dass immer wieder Kinos schließen und zugleich neue eröffnen – über alle Kinogrößen hinweg. Stellen wir die Neu- und Wiedereröffnungen den Schließungen gegenüber, sehen wir bei den Kinos mit nur einer Leinwand 2022 einen Zuwachs.

Das können auch Vereine sein oder Spielstätten, die nur einmal im Monat spielen.

Lindenmaier: Natürlich war die Angst während des Lockdowns sehr groß, dass es zu einem Kinosterben kommen würde. Insgesamt waren die Spielstätten ja zwölf Monate geschlossen und danach durfte der Betrieb nur unter sehr strengen Hygieneauflagen wieder aufgenommen werden. Dass der Großteil der Kinos diese sehr schwierige Zeit dennoch überstanden hat, liegt natürlich vor allem an den Hilfsprogrammen der Bundesregierung und den großen Kraftanstrengungen der Bertreiberinnen und Betreibern. Das muss man ganz klar sagen.

Wobei man sicherlich noch sehen muss, wie sich die während der Pandemie vereinbarte Aussetzung der Insolvenzverfahren auswirken wird. Hinzu kommen aktuelle Herausforderungen, wie die gestiegenen Energiepreise oder die Inflation. Wir sind also noch nicht ganz über den Berg.

Lin-Hi: Dies war auch der Anlass zur Studie. Wir wollten mit ihr Impulse anbieten für die Zukunft – zusätzlich zu den verschiedenen Maßnahmen, die die FFA während der Pandemie ergriffen hat.

Einfach ist es für die Kinos schon vor der Pandemie nicht gewesen. Stichwort demografischer Wandel.

Lin-Hi: Die Folgen des demografischen Wandels sind eine Herausforderung für die Kinobranche. Wobei wir uns natürlich sehr darüber freuen, dass fast zwei Drittel der Altersgruppe der zehn- bis 19-Jährigen 2022 mindestens einmal im Kino war, bei der Altersgruppe der über 60-Jährigen waren es hingegen 12 Prozent. Das zeigt uns auch, dass wir die Generation, die mit Streaming- und digitalen Gamingangeboten groß geworden ist, nicht verloren haben. Allerdings muss man leider auch sehen, dass die Zahl der jungen Menschen aufgrund der demographischen Entwicklung stetig abnimmt, ebenso wie die Reichweite über die Altersgruppen hinweg. Und das hat wiederum den Effekt, dass letztlich bei einer gleichbleibenden Struktur der Besucher und Besucherinnen langfristig weniger Kinotickets verkauft werden.

Kommen wir zu den Handlungsempfehlungen in Ihrer Studie. Welche davon würden Sie hervorheben?

Lindenmaier: Hier muss man unterscheiden: Zum einen gibt die Studie jedem Kinobetreiber und jeder Kinobetreiberin einen Maßnahmenkatalog mit einer Checkliste an die Hand, um festzustellen, in welchen Bereichen vor Ort noch nachgebessert werden kann. Da muss jedes Kino für sich überprüfen, wie es in den einzelnen Bereichen aufgestellt ist..

Neben individuellen Hinweisen enthält die Studie zum anderen auch Maßnahmen, die wir nur gemeinsam als Branche umsetzen können. Wenn zum Beispiel ein Großteil der Befragten sagt „Kino ist bei mir nicht mehr so präsent wie früher“, ist klar, dass darauf die Branche insgesamt reagieren muss. Der HDF hat im letzten Jahr zum Beispiel die Kampagne „KINO. FÜHLST DU.“ gestartet, um auf den Ort „Kino“ aufmerksam zu machen. Darüber hinaus haben wir „DAS KINOFEST“ ins Leben gerufen, wo wir in der Breite auch preissensible Zielgruppen ansprechen wollen.

Lin-Hi: Das Potenzial liegt vor allen Dingen bei denjenigen, die selten ins Kino gehen oder seit der Pandemie nicht mehr oder viel seltener ins Kino gehen. Bei wem wir während der Pandemie tatsächlich an Reichweite verloren haben, sind die mittleren und älteren Jahrgänge. Die müssen wir außerhalb der Kinos wieder erreichen und dazu motivieren, sich über das aktuelle Filmprogramm ihrer Kinos in der Umgebung zu informieren. 

Es reicht also nicht, die Leute einfach auf die Webseite der lokalen Kinos zu lotsen?

Lin-Hi: Bis jemand die Website besucht, ist es bereits ein langer Weg. Dafür muss das Kino bereits als Freizeitaktivität eingeplant sein. Das ist auch ein Ergebnis der Studie, das mich sehr überrascht hat: Wie viel Aufwand die Kinobesucherinnen und -besucher betreiben, um ins Kino zu gehen. Es wird vielfach unterschätzt, wie viel Zeit investiert wird, um festzustellen, welcher Film wann und wo läuft. Ausgewiesene Kinofans informieren sich sogar auf den Websites von ihren Lieblingsverleihen, um zu schauen, wer wann welchen Film ins Kino bringt. Aber das ist ein Aufwand, den betreibt man natürlich nur, wenn man einem Kino wichtig ist. Allen anderen müssen wir diese Informationen „mundgerechter“ servieren.

Was können die Kinos also tun, um mehr Zielgruppen zu erschließen?

Lindenmaier: Natürlich ist es wichtig, in den digitalen Medien zu werben, da sind ja mittlerweile so gut wie alle Altersgruppen vertreten. Ich fand aber noch ein anderes Ergebnis der Studie ganz interessant. Das mag vielleicht erst einmal banal klingen, aber man sollte Werbekanäle wie die klassische TV-Werbung oder auch Anzeigen in der Tagespresse nicht unterschätzen, weil sie bei einer älteren und ländlicheren Zielgruppe immer noch sehr hoch im Kurs stehen. Gerade diese Zielgruppen dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, wenn wir die Reichweite der Kinobesuchenden wieder signifikant erhöhen wollen.

Viele Kinos bieten zum Beispiel auch Lesungen an oder laden Schauspielerinnen und Schauspieler ein. Müssen sich die Kinos breiter aufstellen?

Lin-Hi: Das kommt darauf an, wen man erreichen will. Natürlich ziehe ich über ein anderes Format auch Leute an, die sonst nicht ans Kino denken. Besondere Events, wie zum Beispiel Kinotouren und so weiter sind sicherlich eine Aufmerksamkeitsquelle. Aber auch hier stellt sich die Frage: Wie bewerbe ich das am besten?

Lindenmaier: Das Ergebnis der Umfrage in unserer Studie zeigt, dass sich die Besucherinnen und Besucher zum Beispiel mehr Veranstaltungen mit Prominenten wünschen. Diesem Wunsch kommen wir als Verband gerne nach und organisieren gerade eine Tour unter dem Slogan „Mein Kino. Mein Star“, die ein Stück dazu beitragen soll, das Publikum wieder enger an ihr Kino vor Ort zu binden.

Ins Kino geht man in seiner Freizeit. Man könnte natürlich auch andere Dinge unternehmen. Welchen Stellenwert hat der Kinobesuch unter allen Freizeitbeschäftigungen?

Lindenmaier: In der Studie haben wir gefragt, wo das Kino im Vergleich zu anderen Freizeitaktivitäten steht. Wie gut erfüllt es die Freizeitbedürfnisse der Menschen? Das Ergebnis hat uns unglaublich gefreut. Ganz gleich, ob es um den Wunsch geht, Spaß zu haben, dem Alltag zu entfliehen, sich zu entspannen oder Zeit mit Freunden oder Familie zu verbringen: Das Kino schneidet überall sehr gut ab. Die Wertschätzung gegenüber dem Kino ist also positiv.

Was ist denn die wichtigste Erkenntnis, die Sie aus der Studie ziehen?

Lindenmaier: Für mich ist das Haupt-Learning: Wir haben mit dem Kino ein großartiges Kultur- und Freizeitangebot, das von den Befragten grundsätzlich sehr positiv wahrgenommen wird. Wir müssen aber noch besser daran arbeiten, dieses Angebot kontinuierlich und zielgruppenspezifisch zu bewerben und Kino damit wieder „Top of Mind“ zu machen.

Lin-Hi: Ich fand es wirklich erstaunlich, dass 38 Prozent derjenigen, die nie ins Kino gehen, auf die Frage, ob ein Kinobesuch grundsätzlich für sie als Freizeitaktivität infrage kommt, mit „ja“ geantwortet haben. Das zeigt diese sehr positive Rolle, die das Kino in unserer Gesellschaft hat.

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