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31.07.2019 -

Nicht vergessen! Soziale Absicherung für selbständige Kreativschaffende. Interview mit Hamid Rezai, Gründungsberater beim Institut für Freie Berufe (IFB)

Einleitung

Das Thema soziale Absicherung ist für alle Berufstätigen wichtig. Speziell von Selbständigen und auch von Kreativschaffenden wird das Thema oft stiefmütterlich behandelt. Das gilt vor allem für selbständige „Einzelkämpfer“, die dafür nur auf ein geringes und immer wieder schwankendes Einkommen zurückgreifen können.

Herr Rezai, Selbständige müssen sich auch selbst um ihre soziale Absicherung kümmern. Was bedeutet das konkret? Und was sollten Kultur- und Kreativschaffende hier besonders berücksichtigen?

Hamid Rezai: Es geht vor allem um Kranken- und Pflegeversicherung und die Rentenversicherung. Und hier ist die wichtigste Information: Freiberufler im Kulturbereich können sich in der Regel über die Künstlersozialkasse, die KSK, versichern. Als KSK-Versicherter bezahlt man seine Beiträge für die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung an diese Künstlersozialkasse. Die leitet die Beiträge dann an Gesetzliche Rentenversicherung, Kranken- und Pflegeversicherung weiter.

Für wen kommt die KSK in Frage?

Für Künstler, die Musik ausüben oder lehren, darstellende oder bildende Künstler, aber genauso auch für Publizisten. Publizisten sind z.B. Schriftsteller, Journalisten oder diejenigen, die in ähnlicher Weise wie ein Schriftsteller tätig sind. Wenn jemand Publizistik lehrt, fällt er in der Regel auch unter den Schutz des Künstlersozialversicherungsgesetzes. Und für alle diese ist es so: Sie sind pflichtversichert in der Rentenversicherung. Viele Selbständige sind nicht rentenversicherungspflichtig, Künstler aber schon. Die KSK ist also eine Pflichtversicherung. Man muss aber ehrlich sein: Trotzdem ist es ein Privileg, da reinzukommen.

Warum ist die KSK-Mitgliedschaft ein Privileg?

Der Künstler zahlt bei Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung nur den halben Beitrag. Es ist ein bisschen vergleichbar mit einem klassischen Angestelltenverhältnis, in dem der Arbeitgeber die Hälfte bezahlt. Hier bezahlt die KSK die andere Hälfte.

Wie sollten Kultur- und Kreativschaffende beim Thema Absicherung vorgehen?

Künstler müssen sich bei der KSK melden. Die prüft in jedem Einzelfall, ob man die Voraussetzungen mitbringt oder nicht. Das heißt: Diese Prüfung führt ausschließlich die KSK durch. Das bedeutet, dass jemand, der vom Finanzamt als freiberuflicher Künstler eingestuft wird, sich nicht automatisch über die KSK versichern kann.

Es kann also sein, dass Finanzamt und KSK zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen: Künstler oder nicht?

Absolut. Es kann sogar so sein, dass das Finanzamt eine kreative Tätigkeit als Gewerbe einstuft, die KSK aber den Kreativschaffenden als selbständigen Künstler trotzdem akzeptiert

Was sollten denn diejenigen tun, die die KSK nicht „reinlässt“?

Das erste ist: In diesem Fall müsste man als Selbständiger mit den doppelten Sozialbeiträgen kalkulieren. Es gibt niemanden mehr, der sozusagen den Arbeitgeberanteil der Gesamtbeiträge bezahlt, wie die KSK das tut. Und das zweite ist: Man ist dann in der Regel. nicht mehr verpflichtet, sich in der gesetzlichen Rentenversicherung zu versichern. Man kann also mit privaten Lebens- oder Rentenversicherungen oder wie auch immer für das Alter vorsorgen. Ich rate aber dazu, sich freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung zu versichern. Wie viel man freiwillig einbezahlt, ist einem selbst überlassen. Da liegt der Mindestbeitrag bei ca. 85 Euro im Monat. Man kann z.B. mit 100 Euro monatlich starten, und wenn das Geschäft besser läuft, auf 500 Euro erhöhen. Da hat man eine gewisse Flexibilität, die man nutzen kann.

Und wenn ich mich freiwillig gesetzlich rentenversichere, kann ich doch parallel auch privat noch was machen?

Genau. Das ist eigentlich das, was ich empfehle. Prüfen Sie erst einmal in der Rentenversicherung Ihren aktuellen Rentenanspruch, den Sie hätten, wenn Sie Ihren Betrag x weiter bezahlen würden. Die Rentenversicherung – das ist ja der Vorteil – kann einem auf den Euro genau berechnen, wie viel man später rausbekommt. Und prüfen Sie dann, inwieweit eine Kombination aus privater und gesetzlicher Vorsorge sinnvoll ist. Dazu gehört aber auch nachzurechnen, ob eine gewünschte soziale Absicherung mit den Einnahmen bezahlbar ist, die man in der Selbständigkeit erzielt

Also prüfen: Passt die Altersvorsorge in meinen Liquiditätsplan?

Ja. Das geht jetzt ein bisschen ins Betriebswirtschaftliche. Aber wenn man sich mal einen Finanz- und Liquiditätsplan erstellt, dann kann man sehen, wie viel Geld für eine zusätzliche private Altersvorsorge da ist. Oder auch für die Berufsgenossenschaft. Die wenigsten wissen, dass ich mich als Selbständiger ganz am Anfang – sogar offiziell innerhalb von einer Woche nach Beginn der Selbständigkeit – an die Berufsgenossenschaft wenden muss, für das Thema Unfallversicherung. Da habe ich eine Meldepflicht bei der BG. Und die BG prüft im Einzelfall, ob ich unfallversicherungspflichtig bin oder nicht. Das ist von vielen Faktoren abhängig. Ich persönlich empfehle, auch wenn keine Pflicht besteht, sich unbedingt einmal anzuhören, wie hoch die Beiträge in der freiwilligen Unfallversicherung wären. Ober auch die Beiträge für eine Berufshaftpflichtversicherung.

Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung: Gibt es weitere wichtige Themen zur sozialen Absicherung?

Ja, die Arbeitslosenversicherung. Es ist möglich, sich freiwillig arbeitslosenzuversichern. Da ist es wichtig, dass man die Frist nicht versäumt: Man muss nämlich innerhalb von drei Monaten nach Beginn der selbständigen Tätigkeit diese freiwillige Arbeitslosenversicherung abgeschlossen haben. Danach ist es nicht mehr möglich.

Dabei kann sich die Arbeitslosenversicherung gerade für Kreativschaffende lohnen.

Genau. Sie verfügen nämlich häufig über einen Hochschulabschluss. Und bei der Höhe des Arbeitslosengeldes wird die Ausbildung mit eingerechnet. Das heißt, dadurch, dass man einen Universitätsabschluss oder einen Hochschulabschluss nachweisen kann, ist man in der höchsten Ausbildungsstufe. Deshalb ist auch der Beitrag, den man im Falle einer Arbeitslosigkeit bekommt, verhältnismäßig hoch. Er liegt bei ca. 1500 Euro.

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